Von Shitstorms und Verurteilungen

In einer jüngst veröffentlichten Entscheidung (6 Ob 210/23k) musste sich der Oberste Gerichtshof mit der Haftung von (einem einzigen) Beteiligten an einem „Shitstorm“ auseinandersetzen und bejahte dabei die solidarische Haftung für den gesamten, durch den Shitstorm entstandenen Schaden.

 

Aber von Anfang an. Wie kam es zu dem Shitstorm und dem zivilgerichtlichen Verfahren.

 

Der Kläger ist Polizist. Der Beklagte ist Medieninhaber eines Facebook-Profils. Der Kläger war im Februar 2021 bei einer Demonstration gegen die damals geltenden Covid-19-Maßnahmen im Einsatz und wurde im Rahmen einer Amtshandlung seiner Kollegen gegen einen 82-jährigen Mann von einem Dritten gefilmt. Er selbst war nicht Teil der Amtshandlung. Der Beklagte sah das Ursprungsposting des Dritten auf Facebook mit dem Begleittext:

Lass dieses Gesicht des Polizisten um die Welt gehen. Dieser Polizist eskalierte bei der Demo in I*. Ein 82 jähriger unschuldiger Mann wurde zu Boden gerissen, verhaftet, und Stundenlang verhört. Dieser Polizist ist schuldig.“

Er teilte daraufhin einen Screenshot dieses Postings auf seinem Facebook-Profil ohne es vorher auf seinen Wahrheitsgehalt zu überprüfen und lies es dort zumindest sechs Tage lang online, bevor er es selbst wieder entfernte.

 

Der Bedeutungsgehalt des Postings, der Kläger hätte unangebrachte Gewalt angewandt bzw. sogar einen Amtsmissbrauch ist geeignet, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen und erfüllt den objektiven Tatbestand der üblen Nachrede.

 

Der Kläger machte insgesamt 406 Personen bzw. Profile ausfindig, die den Ursprungspost ebenfalls geteilt haben. Unter diesen Postings fanden sich zahlreiche, teilweise äußerst abschätzige und beleidigende Kommentare anderer User. Auch das persönliche Umfeld des Klägers erlangte von dem – vermeintlichen – Vorfall Kenntnis und sprachen ihn auf die Postings an. Der Kläger brachte daraufhin Klage (unter andrem) gegen den Beklagten ein und machte einen Anspruch wegen der erlittenen Gefühlsbeeinträchtigungen geltend.

 

Für den Obersten Gerichtshof bestand vorerst kein Zweifel, dass es sich bei den obigen Ereignissen um einen „Shitstorm“ gehandelt hat. Er hält dazu – unter Bezugnahme auf weiterführende Literatur – fest, dass sich dieser in einem Sturm der Entrüstung im virtuellen Raum mit zum Teil beleidigenden Äußerungen manifestiert und durch das Zusammenwirken vieler Menschen entsteht. Dabei muss es sich um eine für den Betroffenen nicht oder nicht exakt erfassbare Menge an Teilnehmenden handeln.

 

Er beschäftigt sich infolge mit der Frage der Kausalität der einzelnen Beteiligten am Eintritt des Gesamtschadens, welche gegenständlich nicht ganz unproblematisch ist. Zu dem Shitstorm und zu den damit einhergehenden Gefühlsbeeinträchtigungen wäre es ja – mit hoher Wahrscheinlichkeit – auch gekommen, hätte der Beklagte das Ursprungsposting nicht geteilt. Immerhin gab es noch zumindest 406 andere Personen, die diese Unwahrheiten verbreiteten. Den (immateriellen) Schaden hat der Beklagte in Hinblick auf diese große Anzahl an Beteiligten – wahrscheinlich – auch nicht erheblich vergrößert und würde sich eine solche Erhöhung ziffernmäßig nahezu nicht bestimmen lassen. Denkt man sich die Handlung des Beklagten weg, wäre der Schaden – wahrscheinlich – dennoch in der Höhe eingetreten. Ohne Kausalität ist die Ersatzpflicht jedoch ausgeschlossen.

 

Andererseits setzen alle Beteiligten ein konkret gefährliches und damit mit der Kausalitätsvermutung belastetes Verhalten. Durch die weltweite Abrufbarkeit des Postings hätte potenziell jedermann davon Kenntnis erlangen können und seien alle weiteren Reaktionen potenziell darauf zurückzuführen. Übereinstimmend mit der bisherigen Judikatur zu den – in der Realität mannigfaltig auftretenden – Zurechnungsproblemen stellt der Oberste Gerichtshof klar, dass diese bei einem Shitstorm, welcher in der Regel mit der Unaufklärbarkeit der Verursachung einhergeht, im Ergebnis natürlich nicht zum Nachteil des Geschädigten gehen können. Vielmehr noch, durch diese Gemeinschaftlichkeit der Beteiligten und die Nichtbestimmbarkeit der Schadensteile haftet jeder einzelne dem Geschädigten für den vollen Schaden. Ein Regress unter den Schädigern kann anschließend stattfinden.

 

Doch wie hoch ist nun das Haftungsrisiko für Re-Poster konkret?

 

Die Antwort ist leider ernüchternd. Wir wissen es nicht oder können zumindest keine allgemeingültigen Aussagen dazu treffen. Die Höchstrichter betonen, dass dem Richter in solchen Fällen bei der Ausmittlung der Schadenersatzbeträge ein breiter Ermessensspielraum zukommt. Dieser hat den Betrag „nach freier Überzeugung festzusetzen“.

 

Im Anlassfall begehrte der Kläger € 2.000,- pro Schädiger (406 Personen; dies würde einen Gesamtbetrag von über € 800.000,- bedeuten) alleine für die Datenschutzverletzung und € 1.400,- für die Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte nach dem Urheberrechtsgesetz. Da der Beklagte im Vorfeld bereits Zahlungen geleistet hatte, belief sich der im gegenständlichen Verfahren maßgebliche Schadenersatzbetrag auf knappe € 5.000,-. Diesen hielt der Oberste Gerichtshof für jedenfalls angemessen. Mit der Anrechnung aller Zahlungen wurde der Beklagte zur Bezahlung von – weiteren – € 3.000,- verurteilt.

 

Wie aus dem Urteil jedoch hervorgeht, hat der Kläger von anderen am Shitstorm Beteiligten, ebenfalls Zahlungen erhalten. Mangels Einwendung und Nachweis solche Zahlungen auf den Gesamtschaden durch den Beklagten, mussten die Höchstrichter diese jedoch außeracht lassen.

 

(Mag. Florian Breitner)